Alle Veranstaltungen, die im Jahr 2022 stattgefunden haben:
„Vor Ort“ – Journalismus und Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet
Dominik Lessmeister, Reporter des ZDF
Freitag, den 25. November 2022, 19.00 Uhr
Schloss Heiligenberg – Gartensalon
Auf dem Heiligenberg 8, 64342 Seeheim-Jugenheim
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine wird in besonderem Maße die Bedeutung eines verantwortungsvollen Journalismus deutlich. Berichte aus dem Kriegs- und Krisengebiet haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Meinungsbildung sowie auf die Schuldzuweisung und die Unterstützung von Kriegsparteien und Kräften. Sie können Teil der hybriden Kriegsführung sein, in der es darum geht zu verunsichern, in der öffentlichen Auseinandersetzung die Meinungsführung zu gewinnen und das eigene Narrativ durchzusetzen.
Welchen Medien, welchen Aussagen und Berichten kann man in diesem Krieg der Worte und Bilder eigentlich trauen? Zweifel sind angebracht angesichts einer komplexen und unübersichtlichen Lage und angesichts der Tatsache, dass Fake-News gezielt die Meinungsbildung torpedieren. Insbesondere in dieser Zeit, in der jeder und jede von den Entscheidungen und den Geschehnissen betroffen ist, verändert sich der öffentliche Diskurs. In einer demokratischen Gesellschaft ist in dieser Auseinandersetzung die integre, korrekte Information von besonderer Bedeutung. Der verantwortungsvolle Journalismus „vor Ort“ und die Berichterstattung in den Medien stehen vor besonderen Herausforderungen.
Dominik Lessmeister ist Reporter des ZDF und war in dieser Eigenschaft mehrfach „vor Ort“ in der Ukraine. Er berichtet von seinen Eindrücken als Augenzeuge und gibt eine Einschätzung zur Lage in diesem Land. Er gibt Einblicke in die Arbeit eines Reporters im Auslandeinsatz, über die Mechanismen, Sachzwänge und Schwierigkeiten der journalistischen Arbeit vor Ort unter Kriegsbedingungen.
Wann sind Nachrichten glaubwürdig? Er reflektiert die Rolle des Journalismus und der Medien in diesem Krieg der Worte und der Fake News. Welche journalistische Professionalität ist gefordert?
Er gibt eine Einschätzung der Entwicklung und der Situation in Russland und ordnet auf dem Hintergrund seiner internationalen Erfahrung den russischen Angriffskrieg und die Auswirkungen in den Zusammenhang der internationalen Entwicklungen.
Bürgerinnen und Bürger im Diskurs zur Rolle und Glaubwürdigkeit von Presse und Internet in Kriegs- und Krisenzeiten.
Moderation: Bernd-Peter Arnold, Honorarprofessor, Institut für Publizistik, Universität Mainz und langjähriger Hörfunkjournalist beim Hessischen Rundfunk
Tonmitschnitt der Veranstaltung:
Pressetext:
ZDF Reporter schildert die Arbeit der Berichterstatter im Ukrainekrieg
Seeheim-Jugenheim. 25. November 2022. Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit, lautet ein landläufiger Spruch. Welchen Medien, welchen Aussagen und Berichten kann man in dem Krieg der Worte und Bilder des Ukrainekonfliktes eigentlich trauen? Nach tiefgründiger politischer Analyse des Konflikts durch den Osteuropaexperten Manfred Sapper im Oktober ließ das Forum Heiligenberg-Jugenheim am Freitag, 25. November, rasch eine zweite, medienkritische Analyse der Berichterstattung in diesem Krieg folgen. Denn, so der Forumsvorsitzende Gerd Zboril: „Berichte aus dem Kriegs- und Krisengebiet haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit sowie auf die Schuldzuweisung und die Unterstützung von Kriegsparteien und Kräften. Sie können Teil einer hybriden Kriegsführung sein.“
Als Referent des Abends ging Dominik Lessmeister, ZDF-Reporter und Chef-vom-Dienst des Heute-Journals, auf genau die Fragen ein, die kritische Menschen sich beim Sehen oder Lesen von Nachrichten stellen – wie kommen die Aussagen zustande, wer prüft die Quellen und wie wird „vor Ort“ unter gefährlichen und aufwühlenden Umständen journalistisch gearbeitet? Ein zusätzlicher Gewinn: Bernd-Peter Arnold, Honorarprofessor am Institut für Publizistik der Universität Mainz, und selbst langjähriger Hörfunkjournalist beim Hessischen Rundfunk, bündelte als Moderator die Wissbegier des Publikums auf die zentralen Fragen von Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Diese Fragen lassen sich einkreisen durch die Organisation der Korrespondentenarbeit, durch die Recherche vor Ort und die Unterstützung durch die Heimatredaktion, sowie den Kodex der ethischen Standards journalistischer Arbeit.
Zur Organisation: Allein schon die Vorbereitungen und technischen Vorkehrungen, die Dominik Lessmeister schilderte, lassen die Komplexität erahnen, die mit Reporter-Einsätzen vor Ort im Kriegsgebiet verbunden sind. Das Team aus Reporter, Kameramann, Technikern und Fahrer muss für den jeweils einmonatigen Einsatz beim Militär akkreditiert sein; es muss ausgestattet sein mit Kommunikationsgeräten – Handy und Internet – und als Reserve dazu einer Satellitenantenne, einen Generator zur Notstromerzeugung. „In der Ukraine tanken wir an jeder Tankstelle unser Fahrzeug nach; man weiß nie, ob wir überall Treibstoff bekommen.“
Die Bundeswehr bietet Journalisten ein spezielles Training für Auslandseinsätze unter Gefechtsbedingungen an ihrem Standort Hammelburg an. Dort lernen Presseleute sich zu schützen durch Helm und schusssichere Westen. „Unser Bestreben ist es natürlich nicht, im Schützengraben zu liegen“, meinte Lessmeister. „Bei schwierigen Situationen legen wir zuerst die Exit-Situation vor den Dreharbeiten fest. Wie kommen wir gegebenenfalls wieder raus?“ Während ausländische Sendeanstalten wie die BBC oder Medien aus den USA eigene Kriegsberichterstatter einsetzen, die sich bewusst in Gefechtssituationen begeben, setzt das ZDF auf die Berichterstattung über die vom Krieg Betroffenen. „Wir lassen die Menschen erzählen, das geht sehr nahe.“
Damit berührte Lessmeister den Punkt der ethischen Standards der Berichterstattung. „Transparenz ist ein wesentliches Kriterium. Wir prüfen sehr genau die Aussagen. Ich berichte nur, was ich sehe.“ Was nicht an bedeutsamen Entwicklungen verifiziert werden kann, wird mit der Aussage gesendet, augenblicklich sich nicht überprüfen lassen zu können. Das ukrainische Militär sei sehr offen, aber es sei allzu menschlich, „dass jeder auch seine Botschaft hat“. Als eine integre Reporter-Persönlichkeit im ZDF hat sich laut Lessmeister die Journalistin Katrin Eigendorf profiliert, die für ihre Moderation und Berichte den Deutschen Fernsehpreis erhalten hat. Sie ist unter den Reportern in der Ukraine länger als die üblichen vier Wochen im Einsatz. Eigendorf hat Präsident Selensky eine Stunde lang interviewen können, und ihr wurde als einzige Journalistin gestattet, die von Deutschland gelieferten Panzerhaubitzen im Einsatz zu filmen.
„Zur Verifizierung von Fakten bekommen wir als Reporter draußen sehr kompetente Unterstützung von den Kollegen in Mainz,“ betonte Lessmeister. Gemeinsam lege man die Tagesarbeit fest. „Zudem tauschen wir uns immer wieder mit unseren Kollegen aus Spanien, Frankreich, England aus. Wir sind keine Konkurrenten, wir sind als journalistische Kollegen an hoher Genauigkeit und Glaubwürdigkeit interessiert. Uns geht’s nicht um Einschaltquoten. Das Vertrauen untereinander ist groß.“ Peter Arnold, der selbst in der EBU, der European Broadcasting Union von großen europäischen Sendeanstalten mitwirkt, berichtete, dass Filmmaterial zwischen den Sendern über die EBU angeboten und ausgetauscht wird. Wie wichtig Lessmeisters Redaktion die Absicherung von Tatsachen nehme, belegte er mit dem Hinweis auf den kürzlichen Einschlag einer Luftabwehrrakete in Polen. „Wir gehen nicht mit jeder Information gleich heraus, ohne die Nachricht auf Plausibilität geprüft zu haben.“ Da sei man eben später dran gewesen als andere. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, meinte er, wobei er von Peter Arnold stark unterstützt wurde.
Insgesamt sei die Reporter-Tätigkeit im Kriegsgebiet psychisch belastend, meinte Dominik Lessmeister. „Nach einem Monat müssen Sie auch wirklich ‚raus ‘“. „Auch als Chef-vom-Dienst in Mainz sehe ich Bilder von Toten und Gräueltaten, die ich mir anschauen muss, um zu entscheiden, was wir unseren Zuschauern zumuten können. Aber wir tun das auch aus dem Grund, weil wir den toten Menschen in seiner Würde respektieren wollen.“
Ob das ZDF mit seiner Berichterstattung nicht einfach dem Mainstream der westlichen Medien folge, fragte ein Zuhörer des Forums. Warum komme Putin nicht zu Wort, um seine Beweggründe im Krieg darzulegen? Sowohl Lessmeister und Arnold verwiesen darauf, dass die Sendeanstalten Statements nicht nur von Selensky, sondern auch Putin veröffentlichen. Peter Arnold: „Despoten setzen gegenüber den Medien aber ihre eigenen Agenden. Wie wollen Sie interviewen, wenn das russische Mediengesetz verbietet, das Wort Krieg zu benutzen?“ Zudem, ergänzte Lessmeister, erlauben die Russen keinem Journalisten den Besuch in den besetzten Gebieten.
Sieht sich die Redaktion auch mit Forderungen des Senders konfrontiert irgendwelche Berichte nicht zu senden? – so eine weitere Frage. Dominik Lessmeister verwies auf die Unabhängigkeit der Redaktion. Solche Forderungen kenne er nicht. Was die Redaktion für eine Sendung produziere, sende sie auch. Allerdings setze das Militär auch Grenzen, worüber nicht berichtet werden kann.
Der Abend im Forum Heiligenberg hat überzeugende Einblicke in die Arbeit des seriösen Journalismus geboten. Darauf vertraue gerade in Krisenzeiten eine gewachsene Zahl von Mediennutzern, erklärte Peter Arnold, dessen Universität sich am jährlichen Monitoring von Mediennutzung und Medienvertrauen beteiligt. In der Vertrauensskala stehen die Öffentlich-rechtlichen Medien an der Spitze, gefolgt von den klassischen Tageszeitungen und seriösen Internet-Nachrichtenportalen. Als Schlusslichter rangieren die sog. „sozialen Medien“ und der Boulevardjournalismus. WV
Russland und Europa
Der russische Angriff – Putins Welt, die Ukraine und der Westen
Dr. Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa
Dienstag, den 11. Oktober 2022, 19.00 Uhr
Schloss Heiligenberg – Gartensalon
Auf dem Heiligenberg 8, 64342 Seeheim-Jugenheim
Das Ende des Ost-West-Konfliktes verband sich mit der Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland, auf einen friedlichen Ausgleich der Interessen und die gemeinsame Gestaltung einer europäischen und globalen Friedensordnung.
Der völkerrechtwidrige russische Angriff auf die Ukraine macht nach dem separatistischen Angriff auf Georgien, nach der Besetzung der Krim und den separatistischen Angriffen in der Ostukraine mit aller Vehemenz deutlich: In Europa gibt es eine neue politische und wirtschaftliche Realität.
Die Aussagen, die Entscheidungen, das Handeln Putins und die Entwicklung in Russland haben offensichtlich den Westen und vor allem Deutschland völlig überrascht. Haben wir Putin und die Entwicklungen in Russland nicht wahrgenommen, oder falsch eingeschätzt?
Dr. Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa
Der Weg von der Hoffnung auf ein gemeinsames „europäisches Haus“ und einer „europäischen Sicherheitsstruktur“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zur Konfrontation und zum völkerrechtswidrigen militärischen Angriff.
Das „neue Russland“: Das System Putin – die Machtstruktur, die Ökonomie, die Gesellschaft, die Kultur, imperiale, revisionistische Ambitionen und der Angriff auf die Ukraine.
Das „neue Russland“ im Systemkonflikt mit dem Westen: Politischer und moralischer Gegenpol, in zivilisatorischer Mission gegen die Kultur, die Lebensweise und das Selbstverständnis des Westens. Hintergründe und Einschätzungen des russischen Weges. Konsequenzen und Strategien des Westens und die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen.
Europäische Union, Deutschland und Russland – Perspektiven für die weitere Entwicklung in Europa. Handlungsoptionen einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Neuausrichtung, Chancen zur Zusammenarbeit, zur Völkerverständigung und zum kulturellen Austausch.
Bürgerinnen und Bürger in der Debatte um die Einschätzung des russischen Weges, der Strategie des Westens und der weiteren Entwicklung in Europa.
Moderation: Lars Hennemann, Chefredakteur der Rhein-Zeitung
Mitschnitt der Veranstaltung:
Pressetext:
Der Osteuropaexperte Manfred Sapper zu Gast beim Forum Heiligenberg
Seeheim-Jugenheim. 11. Oktober 2022. Die Erwartungen waren gespannt: Der Gartensaal des Schlosses Heiligenberg konnte nicht alle aufnehmen, die zum Neustart des Forums Heiligenberg gekommen waren. „Brisant und ernüchternd“, so ein Teilnehmer, waren dann auch die Analysen und Perspektiven, die Manfred Sapper, Chefredakteur des politischen Fachmediums „Osteuropa“, zum Ukraine-Krieg und seinem Anstifter Wladimir Putin darlegte. „Der Krieg ist ein Testfall für uns alle. Wie schaffen wir es, Russland aus der selbst verursachten Isolation wieder herauszubekommen?“ fragte er.
Erfreut zeigte sich der Leiter des Forums, Gerd Zboril, von dem enormen Zuspruch nach der Corona-bedingten Zwangspause dieser Serie von Diskussionsveranstaltungen der Stiftung Heiligenberg. Sie sollen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Orientierung und zum Meinungsaustausch bieten.
„Osteuropa“-Chefredakteur Manfred Sapper im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern im Forum Heiligenberg. Es moderierte der Chefredakteur der Rhein-Zeitung, Lars Hennemann (stehend).
Manfred Sapper legte den bis zum „imperialen Phantomschmerz“ gesteigerten Begründungswahn dar, der den kriegerischen Weg Putins von Anbeginn begleitete – von Georgien über Tschetschenien, dem Donbass und die Krim zum jüngsten Versuch, sich die Ukraine einzuverleiben und gegebenenfalls zu vernichten. „Wir alle, die wir mit dem Ruf ‚nie wieder Krieg‘ groß geworden sind, haben uns täuschen lassen,“ erklärte er. „Wirtschaftliche Interessen spielten eine größere Rolle als Menschenrechte“. Beschämend, dass ein Gerhard Schröder der Ukraine kurz vor dem Krieg noch „Säbelrasseln“ vorwarf.
Kennzeichnend für Putin sei der Satz, die friedlich verlaufene Auflösung der Sowjetunion sei die „größte geopolitische Katastrophe“ des vergangenen Jahrhunderts gewesen.
Viele Fragen des Publikums – straff moderiert durch den Chefredakteur der Rhein-Zeitung, Lars Hennemann – betrafen die Situation Russlands nach dem desaströsen Kriegsverlauf. „Putin ist nicht abwählbar, das System nicht zu modifizieren … Die Außenpolitik ist die Fortsetzung seiner Innenpolitik im Ausland. Er betreibt eine Politik der verbrannten Brücken, die er hinterlässt“. Wie lange sich der Putinismus halten werde? Darauf Sapper: „Der Stalinismus ist nicht ohne Stalin denkbar, der Nationalsozialismus nicht ohne Hitler und der Faschismus nicht ohne Mussolini. So wird es auch hier sein.“
Wann Europa aus diesem Krieg herauskommen werde? – Von drei Möglichkeiten sieht der „Osteuropa“-Chefredakteur nur die letzten zwei als wahrscheinlich an: 1. ein Blitzsieg, 2. ein Abnutzungskrieg, der sich noch lange hinschleppen dürfte und 3. ein Regimezusammenbruch des Aggressors. Sapper konstatiert: Die Widerstandskraft der Ukrainer ist durch die Kriegsgeschehnisse nur noch gewachsen, der Hass ist bodenlos. Verhandlungen gibt Sapper augenblicklich keine Chancen. „Der Zeitpunkt ist nicht reif“. Die Ukraine bleibt angesichts ihrer Errungenschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der bisherigen Opfer bereit zur Gegenwehr: 75.000 ihrer Menschen verloren ihr Leben, und von 40 Millionen Staatsbürger sind 10 Millionen auf der Flucht. Atomwaffen werde Putin nicht einsetzen, er nutze vielmehr ihre abschreckende Existenz. Die Ukrainer als Betroffene haben davor keine Angst.
Welche Zukunft sieht Sapper für die Ukraine und ihr Verhältnis zu Russland? Das Land werde voraussichtlich eine staatliche Identität wie Israel entwickeln, dessen Raison in etwa so laute – „wir lassen uns nicht wieder abschlachten.“ Die Demokratie werde gefestigt sein und jeder Angriff von außen sofort erwidert. Nach einer so verbrecherischen Attacke auf ihre Selbstbestimmung und kulturellen Identität werde eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Russland und der Ukraine „Jahrzehnte, mindestens wohl zwei Generationen dauern“. WV