Prof. Dr. Kiran Klaus Patel im Forum Heiligenberg:
In ihren Krisen gewann die EU an Statur und Kompetenz

Schröder steuerte geschickt die Fragen aus dem Publikum, was Patel ermöglichte, seinen Befund weiter zu konkretisieren: Sollte man etwa nicht ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ verfolgen, in dem die Progressiven voranschreiten und die Kleineren, Zögerlichen irgendwann dann folgen? Patel: „Das haben wir doch längst.“ Und er verwies auf die unterschiedlichsten Konstellationen in unserem unierten Europa: Einige Länder haben den Euro als Gemeinschaftswährung akzeptiert, andere nicht; einige Staaten sind Mitglied der Schengen-Gruppe, andere nicht; die Fragen von Asyl und Migration werden in Polen und Ungarn anders gesehen als in Irland oder Spanien, die sich wiederum von den anderen europäischen Industriestaaten in ihren politischen Ansätzen unterscheiden. Die Mitgliedsstaaten hätten eine erstaunliche Fähigkeit entwickelt, gerade bei den gegenwärtigen Themen Migration, Asylrecht, Ukrainefrage, Terroranschläge gegen Israel „Brandmauern zwischen den Krisen zu errichten.“ Im gewissen Sinn gibt es wechselnde Koalitionen bei den individuellen Krisen. „Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten lässt sich nicht etablieren, weil dies extrem problematisch wäre. Die Politik sollte sagen: Ja, wir sind dauerhaft differenziert.“ Es werde deshalb beim dauerhaften „Durchwurschteln“ bleiben. „Das ist nicht schön. Aber wie bei alten Kirchengebäuden mit gotischer Fassade, barocken Altären und neuzeitlichen Einbauten ist manch anderes auch nicht schön. Aber sie erfüllen ihre Aufgabe.“
Das Interessante an der Entwicklung Europas sei, dass als Impulsgeber für Fortschritte eher das Erkennen ökonomischer und technischer Notwendigkeiten z.B. durch die Wirtschaft ausschlaggebend gewesen seien, als politische Vorgaben. Ein „Europa, das schützt“ müsse doch jetzt „bei Verteidigungsfragen mehr Gas geben“, wandte Stefan Schröder ein: Patel stimmte ihm zu, die Frage der Sicherheit sei dringend. „Wir müssen nachdenken, was die EU ohne die USA macht?“ sollte das Engagement einmal nachlassen. Die Union besteht aus Nationalstaaten, eine gemeinsame Armee sei unrealistisch, so Patel, aber bei Fragen der Beschaffung sei ein Zusammenrücken sinnvoll.
Wichtig für die Bürger Europas, aber auch die Verantwortlichen in den Institutionen, sei es zu lernen, „mit Komplexität umzugehen und Komplexität auch auszuhalten.“
Der Vorsitzende des Forums Heiligenberg, Gerd Zboril, zog einen positiven Schlussstrich unter die hochaktuellen Themen, die das Forum in diesem Jahr diskutiert hat. Die Nachfrage der interessierten Bürger sei in der Regel größer als das Angebot von Sitzplätzen im Gartensaal des Schlosses. Das Forum-Team arbeitet derzeit am Programm für 2024, dessen Inhalt stark vom Gang der Krisen beeinflusst werden dürfte. WV
Mitschnitt von der Veranstaltung: