ZDF Reporter schildert die Arbeit der Berichterstatter im Ukrainekrieg
Seeheim-Jugenheim. 25. November 2022. Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit, lautet ein landläufiger Spruch. Welchen Medien, welchen Aussagen und Berichten kann man in dem Krieg der Worte und Bilder des Ukrainekonfliktes eigentlich trauen? Nach tiefgründiger politischer Analyse des Konflikts durch den Osteuropaexperten Manfred Sapper im Oktober ließ das Forum Heiligenberg-Jugenheim am Freitag, 25. November, rasch eine zweite, medienkritische Analyse der Berichterstattung in diesem Krieg folgen. Denn, so der Forumsvorsitzende Gerd Zboril: „Berichte aus dem Kriegs- und Krisengebiet haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit sowie auf die Schuldzuweisung und die Unterstützung von Kriegsparteien und Kräften. Sie können Teil einer hybriden Kriegsführung sein.“
Als Referent des Abends ging Dominik Lessmeister, ZDF-Reporter und Chef-vom-Dienst des Heute-Journals, auf genau die Fragen ein, die kritische Menschen sich beim Sehen oder Lesen von Nachrichten stellen – wie kommen die Aussagen zustande, wer prüft die Quellen und wie wird „vor Ort“ unter gefährlichen und aufwühlenden Umständen journalistisch gearbeitet? Ein zusätzlicher Gewinn: Bernd-Peter Arnold, Honorarprofessor am Institut für Publizistik der Universität Mainz, und selbst langjähriger Hörfunkjournalist beim Hessischen Rundfunk, bündelte als Moderator die Wissbegier des Publikums auf die zentralen Fragen von Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Diese Fragen lassen sich einkreisen durch die Organisation der Korrespondentenarbeit, durch die Recherche vor Ort und die Unterstützung durch die Heimatredaktion, sowie den Kodex der ethischen Standards journalistischer Arbeit.
Zur Organisation: Allein schon die Vorbereitungen und technischen Vorkehrungen, die Dominik Lessmeister schilderte, lassen die Komplexität erahnen, die mit Reporter-Einsätzen vor Ort im Kriegsgebiet verbunden sind. Das Team aus Reporter, Kameramann, Technikern und Fahrer muss für den jeweils einmonatigen Einsatz beim Militär akkreditiert sein; es muss ausgestattet sein mit Kommunikationsgeräten – Handy und Internet – und als Reserve dazu einer Satellitenantenne, einen Generator zur Notstromerzeugung. „In der Ukraine tanken wir an jeder Tankstelle unser Fahrzeug nach; man weiß nie, ob wir überall Treibstoff bekommen.“
Die Bundeswehr bietet Journalisten ein spezielles Training für Auslandseinsätze unter Gefechtsbedingungen an ihrem Standort Hammelburg an. Dort lernen Presseleute sich zu schützen durch Helm und schusssichere Westen. „Unser Bestreben ist es natürlich nicht, im Schützengraben zu liegen“, meinte Lessmeister. „Bei schwierigen Situationen legen wir zuerst die Exit-Situation vor den Dreharbeiten fest. Wie kommen wir gegebenenfalls wieder raus?“ Während ausländische Sendeanstalten wie die BBC oder Medien aus den USA eigene Kriegsberichterstatter einsetzen, die sich bewusst in Gefechtssituationen begeben, setzt das ZDF auf die Berichterstattung über die vom Krieg Betroffenen. „Wir lassen die Menschen erzählen, das geht sehr nahe.“
Damit berührte Lessmeister den Punkt der ethischen Standards der Berichterstattung. „Transparenz ist ein wesentliches Kriterium. Wir prüfen sehr genau die Aussagen. Ich berichte nur, was ich sehe.“ Was nicht an bedeutsamen Entwicklungen verifiziert werden kann, wird mit der Aussage gesendet, augenblicklich sich nicht überprüfen lassen zu können. Das ukrainische Militär sei sehr offen, aber es sei allzu menschlich, „dass jeder auch seine Botschaft hat“. Als eine integre Reporter-Persönlichkeit im ZDF hat sich laut Lessmeister die Journalistin Katrin Eigendorf profiliert, die für ihre Moderation und Berichte den Deutschen Fernsehpreis erhalten hat. Sie ist unter den Reportern in der Ukraine länger als die üblichen vier Wochen im Einsatz. Eigendorf hat Präsident Selensky eine Stunde lang interviewen können, und ihr wurde als einzige Journalistin gestattet, die von Deutschland gelieferten Panzerhaubitzen im Einsatz zu filmen.
„Zur Verifizierung von Fakten bekommen wir als Reporter draußen sehr kompetente Unterstützung von den Kollegen in Mainz,“ betonte Lessmeister. Gemeinsam lege man die Tagesarbeit fest. „Zudem tauschen wir uns immer wieder mit unseren Kollegen aus Spanien, Frankreich, England aus. Wir sind keine Konkurrenten, wir sind als journalistische Kollegen an hoher Genauigkeit und Glaubwürdigkeit interessiert. Uns geht’s nicht um Einschaltquoten. Das Vertrauen untereinander ist groß.“ Peter Arnold, der selbst in der EBU, der European Broadcasting Union von großen europäischen Sendeanstalten mitwirkt, berichtete, dass Filmmaterial zwischen den Sendern über die EBU angeboten und ausgetauscht wird. Wie wichtig Lessmeisters Redaktion die Absicherung von Tatsachen nehme, belegte er mit dem Hinweis auf den kürzlichen Einschlag einer Luftabwehrrakete in Polen. „Wir gehen nicht mit jeder Information gleich heraus, ohne die Nachricht auf Plausibilität geprüft zu haben.“ Da sei man eben später dran gewesen als andere. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, meinte er, wobei er von Peter Arnold stark unterstützt wurde.
Insgesamt sei die Reporter-Tätigkeit im Kriegsgebiet psychisch belastend, meinte Dominik Lessmeister. „Nach einem Monat müssen Sie auch wirklich ‚raus ‘“. „Auch als Chef-vom-Dienst in Mainz sehe ich Bilder von Toten und Gräueltaten, die ich mir anschauen muss, um zu entscheiden, was wir unseren Zuschauern zumuten können. Aber wir tun das auch aus dem Grund, weil wir den toten Menschen in seiner Würde respektieren wollen.“
Ob das ZDF mit seiner Berichterstattung nicht einfach dem Mainstream der westlichen Medien folge, fragte ein Zuhörer des Forums. Warum komme Putin nicht zu Wort, um seine Beweggründe im Krieg darzulegen? Sowohl Lessmeister und Arnold verwiesen darauf, dass die Sendeanstalten Statements nicht nur von Selensky, sondern auch Putin veröffentlichen. Peter Arnold: „Despoten setzen gegenüber den Medien aber ihre eigenen Agenden. Wie wollen Sie interviewen, wenn das russische Mediengesetz verbietet, das Wort Krieg zu benutzen?“ Zudem, ergänzte Lessmeister, erlauben die Russen keinem Journalisten den Besuch in den besetzten Gebieten.
Sieht sich die Redaktion auch mit Forderungen des Senders konfrontiert irgendwelche Berichte nicht zu senden? – so eine weitere Frage. Dominik Lessmeister verwies auf die Unabhängigkeit der Redaktion. Solche Forderungen kenne er nicht. Was die Redaktion für eine Sendung produziere, sende sie auch. Allerdings setze das Militär auch Grenzen, worüber nicht berichtet werden kann.
Der Abend im Forum Heiligenberg hat überzeugende Einblicke in die Arbeit des seriösen Journalismus geboten. Darauf vertraue gerade in Krisenzeiten eine gewachsene Zahl von Mediennutzern, erklärte Peter Arnold, dessen Universität sich am jährlichen Monitoring von Mediennutzung und Medienvertrauen beteiligt. In der Vertrauensskala stehen die Öffentlich-rechtlichen Medien an der Spitze, gefolgt von den klassischen Tageszeitungen und seriösen Internet-Nachrichtenportalen. Als Schlusslichter rangieren die sog. „sozialen Medien“ und der Boulevardjournalismus. WV
Tonmitschnitt der Veranstaltung: