Forum Heiligenberg: Konfliktforscherin sieht in fixierten Normen Ansätze zum Abkühlen gegenwärtiger Kriege und Konflikte.
Seeheim-Jugenheim. 27. März 2025. Der Zustand der Welt ist desolat. Wohl niemand, der nicht nach Orientierung ruft in diesen bewegten Zeiten. Mit dem Thema „Dealmaker und Autokraten – Herausforderungen und Perspektiven einer neuen Weltordnung?“ hat das Forum Heiligenberg fast visionär die Lage auf den Punkt gebracht, erklärten Referentin Dr. Johanna Speyer vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung und Moderatorin Anja Simon. Kein Wunder, dass bereits bei Bekanntwerden des Themas die Veranstaltung am 27. März im Jugenheimer Schloss sofort überbucht war: Es war der Tag, an dem Donald Trump heftige Importzölle für Autos verhängte und damit dem freien Welthandel einen weiteren Schlag versetzte.

Man habe es mit einer geopolitischen Gemengelage zu tun, die Lösungen ungemein erschwere, meinte Johanna Speyer: Da sind Autokratien mit eigenen Normen, Verflechtungen und Abhängigkeiten und andererseits Demokratien. Letztere führen angeblich keine Kriege gegeneinander, nehmen aber durchaus unterschiedliche Positionen gegenüber den Autokraten ein. Letztlich müssen Demokratien in irgendeiner Form mit autoritären Regimen zusammenarbeiten, wenn Stabilität herbeigeführt werden soll.
Neben externen Bedrohungen hätten es manche Staaten und Allianzen noch mit internen Konflikten zu tun, die ein geschlossenes Auftreten erschwerten. Etwa die EU, die an ihrer inneren Geschlossenheit und an nach außen gerichteter Stärke intensiv arbeitet. Hier zeige sich, wie problematisch die eher politisch motivierte Aufnahme bestimmter Staaten in die EU für deren innere Einheit jetzt sei. Oder die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), deren Geschlossenheit oft überschätzt wird, weil ihre Interessen zu unterschiedlich gelagert sind. Die Weltordnung wie wir sie bisher kannten ist jedenfalls Vergangenheit.
Die Forum-Teilnehmer stellten nachdenkliche Fragen, manche mit hypothetischem Charakter. Interessant eine angesprochene These der Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Anne Applebaum: ob es nicht neue Allianzen geben muss, die bei der Lösungssuche Barrieren wie politische Ideologien, Religionen, Ethnien und Kulturen hinter sich lassen. Konkret: Vereinigten nicht große Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Greenpeace Menschen in aller Welt, die jenseits von Polarisierungen durch herkömmliche Organisationen zusammenarbeiten? Diesen Ansatz bejahte Johanna Speyer. Es komme darauf an, dass solche supranationale NGOs „eine hohe Folgebereitschaft durch viele Menschen herstellen.“

Der Vortrag und die Diskussion kulminierten in der Frage: Was könnte die Macht sein, die zu Lösungen der Konflikte und Kriege führt? Johanna Speyer: „Ist es Geld? Ist es militärische Macht?“ Die Teilnehmer reagierten schulterzuckend. Speyer sah hingegen zwei weitere gewichtige Faktoren, die Einfluss ausüben werden: Pragmatismus und Normen. Pragmatismus ist – kurzgefasst – ein praktisches Handeln, das über die theoretische Vernunft gestellt wird. Etwa wenn Staaten auf territoriale Gebiete verzichten, um Tod und Zerstörung durch einen Aggressor zu beenden. Aber mit welcher Garantie? Eine Menge Grauzonen tun sich auf, so Speyer.
Normen können Macht binden, führte sie weiter aus und nannte als ein Beispiel das Folterverbot. Es gelte. Wer foltert, wird geächtet. Teils aber ignoriert ein Teil der Weltöffentlichkeit diese Verstöße. Dennoch beziehen Konfliktforscher das Aushandeln von Normen in Überlegungen ein, wie Öl auf die Wogen der gefährlichen Konflikte in der Welt gegossen werden kann. Es dürfte wohl einiger Koalitionen von Willigen bedürfen.
Wie ein Ventil wirkte da der Ausruf eines Diskutanten: „Alles gut und schön. Aber wie gehen wir mit Mächtigen um, die auf alle Normen pfeifen. Und wie schaffen wir es, die EU schnell zu reformieren?“ Der Schlussapplaus hatte auch den Charakter von Nachdenklichkeit. Anja Simon: „Das Thema wird uns privat weiterbeschäftigen.“ W.V.
Mitschnitt der Veranstaltung: