China-Experten im Forum Heiligenberg:
Mehr Intransparenz und obskure Putin-Freundschaft.
Seeheim-Jugenheim. 17. März 2023. „Wir haben es jetzt mit einem anderen China zu tun.“ Das richtige Timing bei der Themenwahl fliegt dem Forum Heiligenberg offenkundig nicht zum ersten Mal direkt in den Schoß: Mit frischen Analysen der kurz zuvor erfolgten Wahl des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jiangping auf Lebenszeit sorgten am Donnerstag, 16. März, die Wirtschafts- und Politikexperten Chinas von der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Jörn Gottwald und der Mercator Stiftung, Prof Dirk Schmidt, Trier, für ein volles Haus im Jugenheimer Schloss.
Das „andere“ China sei seit Xis Griff zur höchsten Macht in den letzten Jahren intransparenter und unberechenbarer geworden. Der unter Deng Xiaoping ab 1978 vorangetriebene Reform- und Öffnungsprozess hat das Land nicht nur aus der Armut, sondern zu weit verbreitetem Wohlstand geführt. Begleitet war der Prozess von einer großen Wissbegier aller Bereiche von Partei, Wirtschaft und Institutionen nach den bestmöglichen Lösungen, gemäß dem Satz Dengs „Die Praxis ist das einzige Mittel, die Wahrheit herauszufinden“, das der Moderator Stefan Schröder vom Presseclub Wiesbaden zitierte.
Diese erfolgreichen Methoden der zurückliegenden Jahre hätten allerdings, so Prof. Schmidt, nun kein abruptes Ende. Man könne von wirtschaftlichen Reformen ausgehen und auch einer Privatisierung der Staatsbetriebe. Allerdings müsse man zukünftig mit einer straff organisierten marxistisch-leninistischen Kaderpartei rechnen, deren Kontrolle umfassend sei. Da alle Entscheidungen und politischen Programme nunmehr in einer Hand liegen und keine Person zum Ersatz oder der Nachfolge bestimmt ist, bestehe, so die Experten, ein hohes Risiko bei allen plötzlich ausbrechenden Krisen. Herde dafür gebe es genug: Manches geschehe unvermittelt, wie die Kehrtwende bei der Corona Politik. Das könne auch mit Taiwan passieren.
Sorgen bereitet den beiden Experten die gleiche geopolitische Sichtweise von Xi und Putin. Man dürfe die Freundschaft von Putin und Xi nicht unterschätzen, die sich in den letzten 20 Jahren 39-mal persönlich getroffen hätten. Ähnlich dem russischen Autokraten hätte auch Xi nostalgische Vorstellungen von einstiger Größe. Das ist so, „… als ob wir das Heilige Römische Reich wieder installieren wollten.“ Das Militär werde ausgebaut; inwieweit es aber risiko- und opferbereit sei, das lasse sich schwer einschätzen. Ob Russland und China eine echte Partnerschaft betreiben, sei fraglich. Beide Länder betrachten sich mit ewigem Misstrauen.
Der deutschen Wirtschaft empfahl Prof. Gottwald eine weniger blauäugige Sicht auf China. „Wir reden hier nicht mehr über einen Markt der Zukunft. China ist ein wichtiger Markt, aber auch ein hochkomplexer Markt.“ Das Wachstum sei niedriger als geplant, die Arbeitslosigkeit besonders in der Jugend hoch. Die Volksrepublik strebe eine starke Unternehmerelite an und versuche Weltkonzerne zu etablieren. Damit tue man sich aber schwer. Es wurde vielfach experimentiert. Privates Unternehmertum solle auch jetzt unter Xi wieder forciert werden.
Erstaunlich und bemerkenswert sei es, so Prof. Gottwald, dass eine vor über 100 Jahren gegründete kommunistische Partei einen festen Platz im Leben des Landes habe. „Der stillschweigende Vertrag zwischen Volk und Partei gilt bis heute.“ Die KP China hat Macht und Kontrolle und sorgt im Gegenzug für Aufstieg und Wohlstand. Mit einem Sozialismus à la DDR sei der chinesische Kommunismus nicht vergleichbar. Bewundernswert sei die überall vertretene Bereitschaft, auszuprobieren und zu lernen.
Zur anregenden und zielgerichteten Diskussion des Themas, ob Chinas Aufstieg vom „Player am Spielfeldrand zur Weltmacht“ dauerhaft erfolgreich bleiben könne, haben erneut die sehr gut ausgearbeiteten Fragen von Schülern des Schuldorf Bergstraße beigetragen. Verdrossenheit gegenüber politischen Gegenwartsfragen? Nicht bei solchen jungen Leuten. WV
Mitschnitt der Veranstaltung: